M. Lauener: Jeremias Gotthelf – Prediger gegen den Rechtsstaat.

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Titel
Jeremias Gotthelf – Prediger gegen den Rechtsstaat..


Autor(en)
Lauener, Michael
Reihe
Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte 64
Erschienen
Zürich 2011: Schulthess
Anzahl Seiten
596 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Rafael Küffer

Albert Bitzius, Pfarrherr von Lützelflüh, alias Jeremias Gotthelf, nahm zum politischen Zeitgeschehen regelmässig und oft auch sehr pointiert Stellung. Eine Plattform hierfür boten ihm zunächst seine Romane, dann aber auch Amtsschreiben, Predigten, Kalender und Zeitungsartikel für den Berner Volksfreund. Letztere sind in der historisch-kritischen Gesamtausgabe zu Jeremias Gotthelf unlängst umfassend aufgearbeitet worden. Es verspricht daher spannende Einsichten, Jeremias Gotthelfs Werk mit seinen Bezügen zur Politik aus der Sicht des (rechts-)historisch forschenden Juristen zu beleuchten.

Unter dem Titel Jeremias Gotthelf – Prediger gegen den Rechtsstaat erschien in den Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte die hier zu besprechende rechtshistorische Dissertation von Michael Lauener. Der Autor setzte sich für seine Untersuchung das Ziel, Gotthelfs Kritik an der entstehenden Rechtsstaatsidee besser zu verstehen, indem versucht wird, «Gotthelfs Vorstellung von einem christlichen Staat herauszuarbeiten» (S. 16). Es geht dem Autor also darum, Gotthelfs vielfältiges (politisches) Schrifttum mit der Optik des Juristen zu untersuchen und Gotthelf in einer Diskussion zu verorten, deren Inhalt mit Begriffen wie Rechtsstaat, Verfassung, Liberalismus und Konservatismus angedeutet werden kann. Um Gotthelf hier einzuordnen, vergleicht der Autor zwei Konzepte: Dasjenige des Rechtsstaates und das des christlichen Staates. An dieser Gegenüberstellung orientiert sich auch die Grobstruktur der Arbeit.

Im ersten Teil der Arbeit werden die Quellenlage und die bisherige Rezeption von Gotthelf und die diesbezüglichen Defizite auf rund 130 Seiten umfassend wiedergegeben.

Der zweite Teil der Arbeit ist der «Rechtsstaatsidee» gewidmet. Darin werden zunächst die prekären wirtschaftlichen Verhältnisse der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und deren Auswirkungen auf die Bauern beschrieben.Vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung des Autors auch Gotthelfs Roman Erlebnisse eines Schuldenbauers zu lesen, dem er rund 60 Seiten widmet. In der Folge wird Gotthelfs Staatsverständnis unter anderem mit demjenigen von Wilhelm Snell verglichen. Auch werden einige Institute des Zivil- und Zwangsvollstreckungsrechts sowie die Rolle der Juristen ganz allgemein angesprochen. Bei seinen Ausführungen bezieht sich der Autor oft auf Bestimmungen im Civilgesetzbuch für Stadt und Republik Bern, das unter anderem Bestimmungen über die Ausgestaltung des Grundeigentums und der Grundlasten enthielt. Mit dem Gesetz über einige Abänderungen in der Hypothekargesetzgebung von 1849 wurde das Berner Civilgesetzbuch punktuell geändert. Darauf geht der Autor detailliert ein, weil diese Änderungen für ihn wichtig sind, um den Roman Erlebnisse eines Schuldenbauers zu verstehen. Für das Verständnis dieser Zusammenhänge wäre es sicherlich förderlich gewesen, wenn der Autor die Begriffe «Besitz» und «Eigentum» konsequent in dem Sinne verwendet hätte, wie sie gemäss dem Berner Civilgesetzbuch zu verstehen waren.

Im dritten Teil der Arbeit wird «Gotthelfs Idee des christlichen Staates» dargestellt. Der Autor beschreibt zudem ausführlich, wie sich Gotthelf zur «liberalen Verfassung 1831» stellte (S. 377ff.). Daneben wird auch im dritten Teil das Berner Civilgesetzbuch besprochen, wobei der Autor hauptsächlich auf dessen familienrechtliche Bestimmungen eingeht und unter anderem ausführt, dass im Vergleich zur vormals geltenden Chorgerichtssatzung weitere Scheidungsgründe eingeführt worden seien. Die Rolle der Juristen wird auch im dritten Teil der Arbeit eingehend besprochen. Abgeschlossen wird die Untersuchung mit einem kurzen Fazit.

Die Arbeit ist sehr facetten- und detailreich und basiert auf einem grossen Fundus an Quellen und Sekundärliteratur. Wie intensiv der Autor recherchiert hat, zeigt sich beispielsweise, wenn er nachweist, dass der bekannte deutsche Jurist Carl Schmitt höchstwahrscheinlich Gotthelf gelesen hatte, um dessen Texte für seine «nationalsozialistische Ablehnung des Rechtsstaats» zu «instrumentalisieren» (S. 73ff.). Auch die umfangreichen Fussnoten, die oft mehr Platz einnehmen, als der Haupttext, sind Ausdruck davon, wie viel Material der Autor zusammengetragen hat. Der grosse Detailreichtum, ahlreiche Wiederholungen und die unklare Struktur der Arbeit führen jedoch auch dazu, dass sich der Leser bei dieser Fülle an Informationen nur ungenügend durch das Werk geführt fühlt. Mit Blick auf die Struktur der Arbeit wünschte sich der Leser beispielsweise hinsichtlich der Geschichte des Schuldenbauers zunächst über die rechtlichen Hintergründe, alsdann über den Inhalt des Romans und zuletzt über die daraus abzuleitende Bedeutung dieses Werks ins Bild gesetzt zu werden. Da der Autor diese Punkte vermengt, ist es für den Leser schwierig, dessen Argumentation zu folgen.

Der Autor will «Gotthelfs Vorstellungen vom liberalen Rechtsstaat» mit der «Rechtsstaatsidee » seines «Widersachers» Wilhelm Snell vergleichen (S. 20). Hinsichtlich der Auseinandersetzung mit Wilhelm Snell weist der Autor jedoch auch auf politische und persönliche Elemente der gotthelfschen Kritik hin: Wilhelm Snells Teilnahme an den Freischarenzügen, dessen Forderung nach Vertreibung der Jesuiten und dessen grosse Überzeugungskraft, mit der er die Studenten für sich vereinnahmt habe. Der Autor erläutert weiter, dass Wilhlem Snell keine neuen oder originellen Ideen äusserte und dass ihm «die Rechtswissenschaft wenig zu verdanken» habe (S. 239). Dessen Bruder, Ludwig Snell, habe einen viel grösseren Einfluss auf das Verfassungsrecht gehabt. Für den Leser bleibt bei diesen Ausführungen letztlich unklar, ob Gotthelf Wilhelm Snells politische Forderungen, dessen staatsrechtliche Ideen oder lediglich Snells Schaffen kritisierte. Mit Blick auf die Erörterung von Gotthelfs Rechtsstaatsbegriff fühlt sich der Leser zudem in der wissenschaftlichen Diskussion um den Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts etwas alleine gelassen. Die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorgetragene Forderung nach mehr Rechtsstaat und nach Liberalismus ist als politische Bewegung zu verstehen, die den absolutistischen Staat überwinden wollte. Sie war Basis für eine Vielzahl von politischen Strömungen, denen keineswegs ein einheitliches Staatsverständnis oder ein einheitlicher Rechtsstaatsbegriff zugrunde lag. Es wäre daher dem Leser sehr gedient gewesen, wenn der Autor diese politischen Strömungen analysiert und strukturiert hätte, um alsdann Gotthelf darin einzuordnen.

Zu Recht geht der Autor auf Gotthelfs Freiheitsbegriff ein. Als Element liberalen Denkens nimmt dieser in der Diskussion um den Rechtsstaat einen grossen Stellenwert ein. Da der Autor indes an unzähligen Stellen in allen drei Teilen seiner Arbeit auf Gotthelfs Freiheitsverständnis zu sprechen kommt, fällt es dem Leser bedauerlicherweise schwer, Gotthelf in diesem wichtigen Punkt zu verstehen.

In wesentlichen Fragen vereinfacht der Autor nach Ansicht des Rezensenten etwas zu stark. Dies zeigt sich exemplarisch, wo der Autor die «mangelnde Hegel-Kenntnis der Gotthelf-Forschung» zu korrigieren versucht. Die These, dass es zwischen Hegels und Gotthelfs staatspolitischen Ideen möglicherweise Übereinstimmungen gab, ist sehr interessant und verdiente wohl eine eigene Untersuchung. Da Hegels vieldeutiges Werk in der bisherigen Forschung ganz unterschiedlich interpretiert worden ist, kann es dem Autor auf den rund fünf Seiten seiner Dissertation jedoch nur ungenügend gelingen, seine These zu untersuchen.

Trotz strukturellen Mängeln enthält die Dissertation von Michael Lauener viel Material über Gotthelf. Sie kann daher Ausgangspunkt und Inspirationsquelle für weitere Untersuchungen dienen und liefert damit einen wertvollen Beitrag zur Gotthelf-Forschung.

Zitierweise:
Rafael Küffer: Rezension zu: Lauener, Michael: Jeremias Gotthelf – Prediger gegen den Rechtsstaat. Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte Nr. 64. Zürich: Schulthess Verlag 2011. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 75 Nr. 4, 2013, S. 75-77.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 75 Nr. 4, 2013, S. 75-77.

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